Warum du deine Texte zeigen solltest
von Renate Naber
Zweimal im Jahr veranstalte ich im IBiS Institut eine Lesung, bei der die Kreativen aus den IBiS-Seminaren ihre Texte vorstellen können. Die Erfahrungen sind Ankerpunkte für das Selbstbewusstsein.
Mit deinen Texten vor einem Publikum stehen - für viele ein schwieriger Gedanke
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Stell dir einmal vor...
...Du
liest den letzten Satz deines Textes vor. Nach dem Punkt entsteht eine Pause. Du hebst den Blick und schaust in die Augen des Publikums. Eine bange Frage meldet sich in dir:
“Hat es ihnen gefallen?”
Und im nächsten Moment braust Applaus auf. Wie eine Welle umspült er dich. Das Geräusch erzeugt bei dir eine Gänsehaut. Du siehst, wie sich einige Damen (und Herren!) verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischen.
Was vielleicht wie eine Phantasie klingt, ist ein wichtiger Baustein im Selbstbewusstsein aller Kreativen: Dich mit deinem Text in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Die Lesungen im IBiS
Das Publikum sitzt, es kann losgehen!
Deswegen veranstalte ich zweimal im Jahr eine Lesung, auf der “meine” Kreativen ihre Texte vorstellen können. Beim letzten Termin hatte uns die Stadtbibliothek Porz in ihre Räumlichkeiten eingeladen. Am 27.10. war es soweit: 13:30 Uhr, das Publikum strömte in den Saal.
Die Aufregung erreichte zu diesem Zeitpunkt noch einmal ein ganz neues Niveau, ein Gefühl von “Jetzt geht kein Weg mehr zurück” machte sich auf dem Podium breit. Als die erste Kreative dann ihren Text vorlas und das Eis gebrochen war, konnte ich bei allen eine deutliche Entspannung spüren.
Diese Lesungen bereiten mir eine besondere Freude. Nicht nur weil meine TeilnehmerInnen der Welt zeigen, was sie draufhaben, sondern auch, weil ich das Gefühl, zum ersten Mal mit einem eigenen Text auf der Bühne zu stehen selbst noch gut in Erinnerung habe.
Der Moment, in dem du dich zum ersten Mal dem Publikum stellst, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg aller Kreativen.
Die große kreative Hürde
Wir alle schreiben, weil wir auf einer ganz fundamentalen Ebene das Drang haben, uns mitzuteilen. Das ist, was Schreiben bedeutet: Unsere Gedanken, Gefühle und Erlebnisse an andere Menschen weiterzugeben.
Bevor es aber soweit kommt, steht zunächst eine große Hürde im Weg: dem eigenen Text vertrauen und vorlesen. Wir Kreativen sind oft der Meinung, dass wir am besten unserem Schreibfluss nachgeben können, wenn wir alleine sind. Möglichst wenig Ablenkung, möglichst große Konzentration. Versteh mich nicht falsch, das ist wichtig fürs Schreiben.
Für dich als Kreative oder Kreativen ist es gleichzeitig wichtig, Rückmeldungen von außen zu bekommen. Wenn ich die TeilnehmerInnen der Seminare und Kurse einlade, ihre Texte öffentlich vorzulesen, kommen ganz ähnliche Reaktionen. Ein zweifelnder Blick und dann:
“Meinst Du, Renate, dass das, was ich schreibe, gut genug ist, dass ich es öffentlich vortragen kann?”
Schau dir einmal an, was in diesem Satz steckt. Man kann fast den inneren Kritiker sehen, der im Hintergrund sitzt und schon eine Liste bereithält, warum der Text AUF KEINEN FALL für eine Lesung geeignet ist.
Es ist wirklich schade, wenn Kreative auf diesen Inneren Kritiker hören und sich damit die Chance nehmen, echte Rückmeldungen zu bekommen. Denn nur wenn du deinen Text in die Öffentlichkeit trägst, kannst du diese echten Rückmeldungen bekommen.
Oft fragen die zweifelnden Kreativen dann andere TeilnehmerInnen nach ihren Erfahrungen. Und sind überrascht über die Antwort.
“So habe ich am Anfang auch reagiert. Mach mal mit, du wirst sehen wie toll das ist!”
Zum Glück kommt der innere Kritiker gegen solch geballte Motivation nicht an.
Warum ist es wichtig, deine Texte zu präsentieren?
Echtes Interesse des Publikums ist eine wichtige Erfahrung für uns Kreative
Jede Kreative kennt den inneren Kritiker, der sich sehr gerne und sehr gründlich damit beschäftigt, was an den eigenen Texten nicht seinen Vorstellungen entspricht.
Deshalb haben viele Kreative mit der Idee zu kämpfen, dass das, was sie da schreiben “Ja nichts ist”, ein “bisschen Hobbyschreiben, aber nix richtiges”. Es gibt kaum einen deutlicheren Gegenbeweis als begeisterte Reaktionen aus dem Publikum.
Die positive Reaktion des Publikums löst bei den Kreativen eine tiefgreifende Veränderung aus. Der Applaus, das Lachen über humorvolle Stellen, die tief berührte Stille, wenn es ein trauriger Text ist, all das zeigt dem/der Kreativen, wie nah die Geschichte, das Gedicht den Zuhörern kommt.
Das ist unglaublich beglückend und beflügelnd für das weitere Schreiben. Oft kommen ZuhörerInnen nach der Lesung begeistert zu den Autorinnen und Autoren. Dann werden Fragen gestellt oder um eine gedruckte Textfassung gebeten, um alles nochmals in Ruhe nachlesen zu können.
Wie kannst du damit anfangen, deine Texte zu präsentieren?
Der Schritt auf die Bühne ist für viele am Anfang noch zu groß. Das verstehe ich gut, ich habe auch nicht direkt damit angefangen, vor Publikum zu lesen. Das muss auch nicht das endgültige Ziel sein, auch wenn du damit viele wichtige Rückmeldungen verpasst.
Als ersten Schritt empfehle ich dir, dich in einer kleinen, wohlwollenden Gruppe ebenfalls kreativ Schaffender zu öffnen. Wichtig ist, dass du dich dort in einem geschützten Raum befindest, in dem du konstruktive Kritik bekommen und annehmen kannst.
In meinen Kursen und Seminaren bestehe ich daher auf eine Basisregel: Kritik ist immer konstruktiv. Sie soll aufbauen, nicht niederschmettern. Sie soll anregen, nicht abwerten.
Das ist leichter gesagt als getan, deswegen ist es sinnvoll, dass du dir verschiedene Schreibgruppen anschaust. Stell dir immer wieder die Frage, ob du dich in dieser Gruppe sicher genug fühlst, deine Texte auch vorstellen zu können.
Mein Ratschlag: Nur Mut, es lohnt sich!
Ende gut, alles gut
Geschafft! "Meine" mutigen Kreativen nach der Lesung
Nach der ersten Lesung bedanken sich die Teilnehmerinnen oft, dass ich sie zum Vorlesen motiviert habe. Und freuen sich schon auf den nächsten Termin, an dem sie ihre Texte einem Publikum vortragen können.
Die Erfahrenen kommentieren die Lesung so: "Das hat wieder einmal einen Riesenspaß gemacht! Wie begeistert das Publikum war. Wie schön, dass wir so eine Möglichkeit geboten bekommen. Gerne wieder, Renate!"
Vielen Dank an alle TeilnehmerInnen der Lesung und an die Stadtbibliothek Porz, die uns für diese Lesung im Rahmen des Senioreninfotages im Rathaus zu sich eingeladen hatte! Danke auch an Brunni
Beth vom Seniorennetzwerk für die Koordination.
Mit welchen Botschaften versucht dein innerer Kritiker, deine Texte vor der Öffentlichkeit zu verstecken? Schreib sie hier in die Kommentare und wie du vorhast, deinem inneren Kritiker das Gegenteil zu beweisen!
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Barbara Domes (Donnerstag, 02 November 2017 15:12)
Liebe Renate,
danke für Deinen Bericht von der letzten Lesung in Porz. Ich hoffe, dass ich im Neuen Jahr von Marburg nach Köln zugereist, bei der nächsten Lesung aktiv mitmachen kann.
Hier in Marburg hatte ich schon zwei Lesungen, eine am Tag der Literatur in einer alten Schule. Es war ein grossartiges Erlebnis für mich und hat mich zum Vorlesen befreit. Seither scheue ich mich nicht mehr, meine Texte zu präsentieren.
Ich wünsche Dir goldene Herbsttage und grüsse herzlich aus Marburg,
Deine Barbara
Renate Naber (Donnerstag, 02 November 2017 20:36)
Liebe Barbara,
danke für deinen Kommentar. Die nächste Lesung ist am Sonntag, 22.4. 11 Uhr im IBiS. Ich freue mich, dass du dabei sein möchtest. Gerne. Bestimmt sehen wir uns vorher noch im einen oder anderen Seminar bei uns. Ich finde es wirklich toll, dass du die weite Anfahrt zu uns immer mal wieder in Kauf nimmst. Klasse. Übrigens: Das Thema der nächsten Lesung ist: In Bewegung. Hamsterrad oder Hängematte. Da wird bestimmt noch der eine oder andere Text entstehen. Bis bald, liebe Barbara, und kreative Grüße von Köln nach Marburg
Renate
Bernd-Dieter Neufang (Montag, 06 November 2017 12:02)
Liebe Renate,
ich bin dir dankbar, dass du mit den Lesungen eine weitere Ebene schaffst, unsere Texte zu präsentieren. Das öffentliche Reden und Verlesen von Texten bin ich durch meine beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten gewohnt. Aber trotzdem bedarf es immer einer intensiven Vorbereitung für den Vortrag. Ich behandele auch meine eigenen Texte immer gleich wie fremde. Damit meine ich, dass ich diese in Bezug auf Rhetorik entsprechend bearbeite, in dem ich Zeichen. Bögen oder Pfeile in das Manuskript eintrage. Für mich gilt das Axiom, dass der Zuhörer bzw. der Empfänger meiner Botschaft der wichtigere Teil in dieser Kommunikation ist. Er soll meinen Text verstehen.
Bei dieser Vorbereitung kann es durchaus vorkommen, dass ich den Text noch einmal um der Verständlichkeit willen minimal ändere.
Wie immer das auch geschieht, es macht Spaß den Weg zum Schreiben zu suchen.
Diese Freude ist das Entscheidende, wozu du uns anregst.
Vielen Dank und morgen geht es dann weiter.
Bernd-Dieter Neufang